Nachdem ich beim Halbmarathon in Barcelona total unzufrieden mit meiner Leistung war (65:35), wollte ich so schnell wie möglich wieder raus auf die 21,095km und es besser machen. Der nächstmögliche Zeitpunkt hierfür bot sich mir beim Halbmarathon in Kandel, der genau vier Wochen und gerade mal 15 Fahrminuten von meiner Haustür entfernt statt fand.
Im Vorfeld bin ich die Strecke abgelaufen und habe mich anschließend für einen Start entschieden, da sie wirklich total flach ist, sehr wenige Kurven hat und ich eine intensive Liebe zu der wunderschönen Pfalz entwickelt habe. Ich hatte also einfach ein super gutes Bauchgefühl und richtig Bock, obwohl vier Wochen zwischen zwei HMs natürlich eine recht kurze Regenerationszeit bedeuteten.
Am Renntag konnten mir Julian Flügel, der mich als Tempomacher unterstützen wollte, und Frederik Unewisse (krankheitsbedingt geschwächt, aber er versuchte es netterweise die ersten 3km) leider nicht helfen. Zusammen mit Habtom Weldu, einem Flüchtling aus Eritrea und mittlerweile sehr gutem Freund, ging ich das Projekt EM-Norm (64:45) also vom ersten Meter entschieden an. Die Bedingungen waren am Tag vor und am Nachmittag nach dem Rennen wirklich perfekt, nur beim Start war es leider mit Temperaturen von 5° C und einem sehr frischen Nordostwind nicht ideal. Dennoch fühlte ich mich von Anfang an deutlich besser als in Barcelona und es lief bis zur Wende alles perfekt. Der erste Kilometer war 2:55, die 5km-Marke passierten wir bei15:13 und die 10km-Marke knapp unter 30:30 (Die Matte der Zeitmessung war einige Meter zu weit vorne): http://coderesearch.com/sts/services/10051/652/hm/1001. Wir waren also voll auf Kurs Richtung Amsterdam (EM), Streckenrekord und neue Bestzeit. Ich war also sehr positiv und motiviert unterwegs.
Dann begann der Albtraum für jeden Läufer:
Wir steuerten auf ein Schild zu mit einem Pfeil darauf, der geradeaus zeigte mit dem Buchstaben M für Marathon und einen zweiten Pfeil, der eine Kehrtwende anzeigte mit HM für Halbmarathon. Da ich wusste, dass der Wendepunkt kurz nach 12km war, drehte ich sowie meine drei afrikanischen Begleiter nach der Wende um. Selbst mein Trainer auf dem Fahrrad konnte nicht erkennen, dass über den Symbolen noch sehr klein „200m“ Stand. Nachdem wir gedreht hatten und ich bereits ca. 40m in die falsche Richtung gelaufen war, schrie jemand aus weiter Entfernung. Erst langsam merkten wir, dass irgendetwas gerade richtig schief lief. Ich habe noch genau das grauenvolle Bild vor Augen, wie wir alle auf dieser großen Bundesstraße im Wald still standen, bevor wir realisierten, dass wir erst später wenden durften. So mussten wir also nochmals in die entgegengesetzte Richtung antreten, um dann die eigentliche 180°-Kurve zu nehmen.
Wer schon einmal im Tempo von ca. 20km/h zwei komplette Wenden innerhalb von 80 Metern gemacht und dabei zwischendurch einige Sekunden still gestanden hat, kann sich vorstellen wie viel Zeit das kostet. Laut der Uhr meines Trainers war dieser Kilometer mit dem ganzen Chaos 3:35, der zweitlangsamste Kilometer während des ganzen Halbmarathons lag bei 3:07. Demnach habe ich vermutlich ca. 30 Sekunden verloren sowie viel Kraft durch die beiden unnötigen Wenden. Viele Läufer haben mir am Wettkampftag selbst und auf meiner Facebook-Seite mitgeteilt, dass sie sich an der Stelle sehr unsicher waren und intuitiv wenden wollten. Zwei meiner afrikanischen Konkurrenten hat diese Situation so viel Kraft gekostet, dass sie eine ganze Minute bzw. noch mehr auf uns während den nicht mal 9 verbleibenden Kilometern verloren haben.
Trotz dieses Vorfalles hatte ich selbst noch längst nicht aufgegeben und blieb kämpferisch. Ich blendete den Vorfall wirklich fast komplett aus und drückte alles was ich hatte in den Nordostwind auf dem Weg zurück ins Stadion. Auch hier passte das Tempo mit Zwischenzeiten von 3:04/3:05 pro Kilometer perfekt und ich wusste unterwegs natürlich nicht wie viel Zeit ich tatsächlich verloren hatte.
Bis Kilometer 18 konnte ich Habtom nur sehr schwer folgen, da ich nach der Wende ziemliches Seitenstechen bekam und musste ihn sogar zwischendurch 10-20m ziehen lassen. Bei Kilometer 19 hatte ich ihn dann wieder eingeholt und setze mich das erste Mal an diesem Tag an die Spitze des Feldes. Erst am Stadion mit Blick auf den lang ersehnten Torbogen überholte mich Habtom wieder und wir stürmten im Gleichschritt über meinen geliebten Tartan dem Ziel entgegen. Auf den letzten 30m hatte ich, wie schon in Rheinzabern, das bessere Finish und konnte ganz knapp gewinnen.
Als ich die Zeit im Ziel sah, wusste ich instinktiv, dass das Chaos bei der Wendemarke wahrscheinlich genau die 30 Sekunden waren, die mir zur Team-EM-Norm (64:45) gefehlt haben. Dennoch bin ich sehr stolz, dass ich nun bei dieser traditionellen Veranstaltung (38 Jahre) den Streckenrekord halte und es mit drei sehr starken ostafrikanischen Läufern aufnehmen konnte. Nach wie vor fehlt mir im Halbmarathon einfach noch das nötige Glück, aber ich denke, dass ich gestern wieder einiges über die Strecke gelernt habe und gestärkt aus dieser Erfahrung heraus gehe.
Ich bin mir sicher, dass sich diese hart erkämpften Erfolge im Straßenlauf dann noch bedeutsamer anfühlen werden, als die Erfolge auf der Bahn, die mir mental so viel leichter fielen.